Pinocchio Holzpupe

Herr Ramler und das Elektroauto

In einem blumig ausgeschmückten Facebook-Post und in einem Artikel als Gastautor im Focus hat Herr Bernd Ramler seine erste Langstreckenfahrt mit seinem neuen Elektroauto beschrieben. Kurzum, es war ein Desaster. War das Elektroauto dran schuld?

Fake-News?

Zum grossen Teil ja. Herr Ramler, Diplom Ingenieur, lange Jahre beschäftigt bei Mercedes-Benz, AMG und Porsche, dabei verantwortlich für Rennsport, Getriebe, Antrieb und zuletzt im eigenen Ingenieurbüro für u.a. Steuergeräte für historische Rennfahrzeuge. Also eigentlich ein Mann, der sein Leben lang mit Mobilität und Verbrennungsmotoren zu tun hatte und immer noch zu tun hat. Spielt das eventuell eine Rolle für sein Fazit zum Elektroauto?

In den sehr zahlreichen Kommentaren auf Facebook fühlt sich die Masse an Menschen von der Schilderung des Herrn Ramler bestätigt in ihren Ansichten. Elektromobilität funktioniert niemals. Wenn schon der Diplom Ingenieur Ramler das nicht schafft. Wie soll der kleine Mann das denn schaffen? Genau mit dieser Art der Stimmungsmache arbeitet Herr Ramler. Es sind bewusst verzerrte Fakten und manipulativ dargestellte Ergebnisse. Und das nehme ich dem Herrn Ramler übel.

Wie Ramler reist und wie ein Elektroautofahrer reist

Für diejenigen, die den Bericht nicht gelesen haben (was ich allerdings sehr empfehle, Verlinkung oben) Herr Ramler fährt einen nagelneuen Hyundai Kona Electric mit 64 kWh Akku. Ein durchaus reisetaugliches Elektroauto. Günstig, effektiv und problemlos für die Langstrecke geeignet.

Die Reise vom Emsland nach Stuttgart. Hin und zurück 1.254 km lang. Diese Strecke fährt Herr Ramler in der Regel mit einem Mercedes C300 h. Laut Spritmonitor hat dieses Fahrzeug einen Durchschnittsverbrauch von 6,52 Liter Diesel auf 100 km. Gesamtverbrauch für diese Strecke 81 Liter. Bei einem Dieselpreis von angenommenen 1,26 € sind dies Kosten von 103 Euro für den Treibstoff. Der durchschnittliche Dieselpreis für den 31.12.2019 lag bei 1,305. Das wären Spritkosten in Höhe von 106 Euro. Also der Betrag passt soweit schon.

Mit dem Kona hat Herr Ramler Stromkosten von 106 Euro für die besagte Strecke angenommen.
Aufgeschlüsselt auf die verschiedenen Ladevorgänge:

  • Ladeort
  • Zuhause mit Haushaltsstrom
  • Ohlsiger Heide, Solingen
  • Medenbach West, Wiesbaden
  • Weinstadt Busbahnhof
  • Weinstadt Busbahnhof
  • Limburg Ost
  • Ohlsiger Heide
  • Summe
  • Menge kWh
  • 52
  • 34,63
  • 45,2
  • 19
  • 50,4
  • 42,6
  • 27,8
  • 246,63
  • Preis Euro
  • 15,08
  • 8,20
  • 22,14
  • 7,40
  • 19,64
  • 20,86
  • 13,61
  • 106,93

Eine Vielzahl der Elektroautofahrer plant ihre Langstrecken mit der App abetterrouteplaner. Der große Vorteil dabei, sie empfiehlt geeignete Ladestationen mit Ladedauer und Lademenge um schnellstmöglich voranzukommen. Wenn man seine Lieblingsladestationen einplanen will oder längere Pausen machen will, geht dies problemlos. Ich hab mir diese Reise einmal kurz durchgesehen und komme zu folgenden Ergebnis:

  • Ladeort
  • Zuhause Haushaltsstrom
  • Ohlsiger Heide Ionity
  • Büttelborn Süd
  • Wunnenstein Ost Ionity
  • Pfungstadt Ost EnBW
  • Bad Honnef Ionity
  • Gladbeck-Ellinghorst Fastnet
  • Summe
  • Menge kWh
  • 52
  • 40,3
  • 47,4
  • 39,7
  • 24,3
  • 48
  • 12,16
  • 263,8
  • Preis
  • 15,08
  • 8,00
  • 16,59
  • 8,00
  • 8,50
  • 8,00
  • 3,90
  • 68,07
  • Ladedauer Minuten
  • 0
  • 42
  • 48
  • 33
  • 20
  • 48
  • 9
  • 200 Minuten

Ohne viel Feintuning habe ich dabei das Hauptaugenmerk auf die Kosten gelegt. Die Zeit für die Ladepausen spielte dabei keine so große Rolle. Wenn einem Zeit wichtiger ist als die Kosten kann man die Reise auch dahingehend optimieren. Mit einer Ladung über Nacht in Weinstadt, wobei ich nicht weiß, wo Herr Ramler genächtigt hat und ich somit auch keine AC-Ladesäule auswählen konnte, kann man noch Zeit einsparen. Vielleicht stand in fußläufiger Entfernung auch keine Ladesäule zur Verfügung. Vielleicht hätte es aber auch die Möglichkeit gegeben im Hotel über Nacht zu laden, ggf. an Schuko. Auch das wurde nicht eingerechnet.

Fest steht mit diesem einfach gehaltenen Vergleich, das die Kosten, nur für diese Reise um etwa 40 Euro günstiger sind als mit dem Diesel Hybrid PKW. Falls Herr Ramler diese Strecke öfter zurücklegt läppert sich da übers Jahr ein schönes Sümmchen zusammen.

Die Reichweite

Herr Ramler erwähnt in seinem Bericht, dass er einmal mutig wurde und mit 100 km Restreichweite an der Ladesäule ankam. Ok. Laut seiner Homepage beschäftigt sich Herr Ramler ja auch mit Ladetechnik und Lithium Ionen Akkus. Die Frage ist nur, wie sehr beschäftigt er sich damit? Eigentlich sollte er doch wissen, das ein Akku eine Ladekurve hat. Das heisst, er lädt in bestimmten Ladezuständen deutlich schneller als wenn er zum Beispiel 80 Prozent Ladezustand überschritten hat. Was macht der Elektroautofahrer also? Er versucht die Ladepausen so zu legen, das man möglichst relativ spät an die Ladesäule fährt um den Bereich der Maximalladerate, beim Kona übrigens 77 kW und nicht 58 kW wie von Herrn Ramler erwähnt, zu bleiben. Es macht also keinen Sinn schon bei 100 km Restreichweite eine Ladesäule anzusteuern. In der Regel mache ich es so, dass ich mir nur soviel Restreichweite übrig lasse um zuverlässig eine Alternative Ladesäule erreichen zu können. Um eben dem Szenario zu entgehen, falls eine Säule belegt wäre und ich nicht laden kann oder falls eine Säule defekt ist.
Bei der Planung einer längeren Fahrt werden aber generell Ladeparks mit mehreren Säulen bevorzugt, damit entgeht man den defekten Säulen schon einmal.
Übrigens hatte ich in meinen 35.000 km im letzten Jahr genau zweimal ein Auto vor mir an der Ladesäule, ausser beim kostenlosen laden, die sind öfter mal belegt.

200 km in 1 Stunde

So von Herrn Ramler erwähnt. Er lade an einer Schnellladesäule an der Autobahn 200 km in 1 Stunde. Nach seiner Rechnung bekommt er an einer Schnellladesäule also etwa 40 kWh geliefert. Er sagt aber gleichzeitig das der Kona mit 58 kWh lädt. Herr Ramler, darf man lügen?

Fakt ist, der Kona lädt mit maximal 77 kW, das heisst für 200 km braucht er eine Ladezeit von nicht einmal 40 Minuten. Das ist allerdings auch sehr abhängig von der Reisegeschwindigkeit. Fahre ich nur meinetwegen 120 km/h, fällt die Rechnung schon ganz anders aus, da beim Elektroauto der Verbrauch erheblich sinkt. Dann ist der Durchschnittsverbrauch ruck zuck bei 17 kWh. Dann brauch ich für 200 km keine halbe Stunde. Eine Planung einer längeren Fahrt lohnt sich immer mal mit einer geringeren Reisegeschwindigkeit. Es kann sein das man trotz langsameren Fahren schneller und günstiger ankommt.

Auch an der AC-Ladesäule hatte der Diplom-Ingenieur seine Probleme. er bekam nur 4,6 kW. Möglich wären aber über 7 kW. Mit einem anderen Kabel als dem beim Fahrzeug mitgelieferten. Hat ihn der Hersteller nicht informiert das mit diesem Kabel nur eine beschränkte Ladeleistung möglich ist? Wurde der Diplom-Ingenieur (auch Fachmann bei der Ladetechnik, nach eigenen Aussagen) von diesem Umstand sogar überrascht? Eigentlich unfassbar. Vielleicht ist aber doch eher der Hubkolbenverbrennungsmotor das Steckenpferd des Herrn Ramler, damit kennt er sich aus. Nur droht das Wissen nun ganz langsam unwichtig zu werden. Aber davor bräuchte er keine Angst haben. Er ist im Rentenalter, das heißt sein Wissen wird eh nicht mehr so gefragt sein.

Laden per App

Wenns geht (das tut es fast immer) lade ich per Freischaltung mit RFID-Karte. Viel einfacher und weniger fehleranfällig. Damit erspare ich mir dann auch die von Herrn Ramler erwähnten vergeblichen Startversuche der Ladesäule per App.

Defekte Ladesäule in Medenbach

Geschlagene 30 Minuten plagte sich der Diplom Ingenieur mit einer defekten Ladesäule herum. Er entschied sich dann, nach Limburg weiter zu fahren. Dort war ein Plug-in Hybrid Audi und blockierte die einzige Säule. In Limburg gibt es allerdings auch einen Fastnet-Ladepark mit 3 Säulen parallel. Also warum fahre ich dann eine einzelne Säule an? Absicht oder Unvermögen? Erwähnt wurden dann auch noch die 50 Ladesäulen die an so einer Raststätte notwendig wären. Während der Weihnachtsferien war ich unterwegs und hab insgesamt 6 mal an der Autobahn geladen. Zwei mal war parallel mit mir ein anderes Fahrzeug am laden. Einmal für etwa 10 Minuten und einmal knappe 5 Minuten. Verfügbar waren jeweils 4 Säulen mit der Option den Ladepark auf 6 Säulen auszubauen. Herr Ramler, glauben sie an den Fortschritt. Die Ladeinfrastruktur entwickelt sich rasant weiter. Ob es jemals 50 Ladesäulen braucht wage ich zu bezweifeln.

Mein Fazit

Diplom-Ingenieur Ramler, ehemaliger Angestellter unterschiedlicher Automobilhersteller im Schwabenland, macht Stimmung gegen Elektroautos. Das nehme ich dem Herrn übel. Ich versuche mal das Fazit in der Art abzufassen wie Herr Ramler.

In unserer Zeit, in dem Nachhaltigkeit und umweltverträglichere Lebensweisen immer wichtiger werden führt an dem Elektroauto kein Weg vorbei. Der Kundenkreis für Verbrenner Fahrzeuge wird in immer schnellerer Geschwindigkeit schrumpfen. Der Wandel verläuft disruptiv. Einen Verbrenner wird bald keiner mehr fahren wollen, abgesehen von historischen Rennwägen.

Ich treffe an den Ladesäulen immer wieder Verbrennerfahrer die sehr interessiert an der neuen Technik sind und deren nächstes Auto ein Elektroauto werden soll. Ein Elektroauto erfüllt alle Voraussetzungen für den täglichen Gebrauch und auch für längere Fahrten. Einen Verbrenner als Zweitwagen braucht kein Mensch.

Forderung: Alle Verbrennerfahrer sollten für eine Woche ein Elektroauto ausprobieren sollen. Der Wandel zur Elektromobilität wäre erdrutschartig.

Und Herr Ramler könnte (ähnlich wie damals die Faustkeilindustrie) mit Plakaten durch die Lande ziehen „Rettet die Verbrenner“. Nur deren Zeit ist leider abgelaufen.

In diesem Sinne, ich freue mich darauf, dass immer mehr von der Elektromobilität überzeugt sind.